»Das Kriegsende in Kaltenkirchen 1945 – Zeitzeugen erinnern sich«
Geschichte „hautnah“ kennenzulernen, selbst historische Quellen zu erarbeiten und beim Entstehungsprozess einer historischen Abhandlung mitzuwirken, dies ist in der Schule, wenn überhaupt, oft leider nur in geringen Ansätzen möglich. Doch den beiden Geschichtsprofilen des aktuellen Q2-Jahrgganges bot sich im letzten Schuljahr genau diese Chance. Dr. Gerhard Braas offerierte uns, im Rahmen seiner Arbeit zum Kriegsende 1945 in Kaltenkirchen Zeitzeugengespräche durchzuführen, um die Stimmen derer, die diese Zeit in Kaltenkirchen und Umgebung persönlich erlebt haben, zur Geltung zu bringen. Dieses einmalige Angebot ermöglichte es den beiden Profilen, zunächst den historischen Hintergrund, anhand der zumeist bisher unveröffentlichten Quellen, die uns Herr Dr. Braas zur Verfügung stellte, selbstständig zu erarbeiten. Dadurch bekamen die Schülerinnen und Schüler eine erste intensive Vorstellung von den Lebensumständen der Menschen vor 75 Jahren. Darüber hinaus erwarben sie sich eine inhaltliche Basis für die Ausgestaltung der Zeitzeugeninterviews. Weitere Arbeitsschritte in den folgenden Monaten waren die Erstellung der Fragen für die Interviews sowie die Einübung von Techniken der Gesprächsführung und des aktiven Zuhörens. Schließlich galt es nach der Durchführung der Gespräche darüber hinaus die Transkription nach eindeutigen formalen Vorgaben durchzuführen, eine sehr aufwendige, zeitraubende und anstrengende Tätigkeit. Die Schülerinnen und Schüler haben sich dabei allen Arbeitsschritten mit einem sehr hohen Engagement gewidmet. Es hat sich ferner gezeigt, dass Zeitzeuginnen und Zeitzeugen die Schülerinnen und Schüler mit ihren Erzählungen sehr faszinieren können, da den damaligen Ereignissen so quasi ein Gesicht gegeben wird. Die Dekonstruktion der Aussagen und der Abgleich mit den weiteren Quellen war schließlich ein weiterer grundlegender Schritt, um sich der Frage, wie Menschen über ihre eigene Vergangenheit nachdenken, anzunähern.
Das Ende des Zweiten Weltkrieges, das für die Menschen, die 1945 in Kaltenkirchen lebten, vielfach mit elementaren Ängsten, Verlust und Trauer, und nicht selten auch mit Flucht und Vertreibung verbunden waren, hat tiefe Spuren hinterlassen. Dass Menschen mit diesen Erfahrungen ganz unterschiedlich umgehen und sie in ihre Lebensgeschichte integrieren, hat sich dabei im Zuge der Interviews auf eindrucksvolle Weise bewahrheitet. So bieten die Zeitzeugeninterviews einen vielfältigen Einblick in die Endphase dieses Krieges und vermögen zugleich einen Eindruck zu vermitteln, wie das Leben im Übergang von einer gleichgeschalteten Gesellschaft hin zu einer pluralistischen Gesellschaftsordnung fortschritt. Kaltenkirchen stellt sich dabei als ein Knotenpunkt dar, in dem viele Entwicklungen der damaligen Zeit beispielhaft zusammenflossen.
In diesem ganzen Prozess sind überaus spannende Zeitdokumente entstanden von insgesamt ca. 150 Seiten Transkriptionsmaterial. Und über dreißig Auszüge der durchgeführten Interviews finden sich in der regionalgeschichtlichen Abhandlung von Herrn Dr. Braas mit dem Titel „Kaltenkirchen wird nicht verteidigt“, die ab dem 01. November im Buchhandel erhältlich ist. Dabei war das Projekt ursprünglich noch viel breiter angelegt, als die im Buch aufgeführten Erinnerungen vermuten lassen, es sollten weit mehr Zeitzeuginnen und Zeitzeugen befragt werden, aber das Infektionsgeschehen im Rahmen der aktuellen Pandemie hat es leider nicht zugelassen, alle geplanten Interviews durchzuführen. Ebenso war die geplante Präsentation der Ergebnisse im Rahmen einer Gedenkveranstaltung zum Kriegsende in Schleswig-Holstein im Rathaus von Kaltenkirchen nicht möglich.
Diesen Umständen zum Trotz haben die beteiligten Schülerinnen und Schüler nicht in ihrem Engagement nachgelassen, und so dafür gesorgt, dass die hier aufgeführten Erinnerungen nicht einem kollektiven Vergessen anheimfallen. Dafür gebührt den Schülerinnen und Schülern mein Dank und meine Anerkennung und Herrn Dr. Braas möchte ich danken, dass er uns dieses Angebot der Zusammenarbeit und die oben beschriebenen Möglichkeiten eröffnet hat, da nur so die vielfältigen Erfahrungen und Erlebnisse möglich wurden.
Tobias Thiel